Freitag, 3. Juli 2020

Reingehört: The Hu "The Gereg Deluxe"

Ich bin nun wirklich kein Freund davon, wenn man mir etwas ständig ins Gesicht drückt. Und 2018 habe ich THE HU gefühlt überall im Internet gesehen und gehört. Alles fing an mit diesem viralen Musikvideo, von dem alle sprachen und behaupteten wie außergewöhnlich die Verbindung von Hardrock und mongolischem Kehlkopfgesang sei. Zuallererst fand ich den Mix auch ganz interessant, aber dann kam wieder einmal die negative Seite von Social Media zum Vorschein und ich wurde die nächsten Monate nur noch mit dem Video in meiner Timeline beworfen. Prompt wurde ich daraufhin trotzig und verzichtete darauf mich mit dem Debütalbum der Mongolen zu beschäftigen. Mit etwas Abstand vom Social Buzz der vergangenen Jahre, gebe ich der Deluxe-Version von "The Gereg" nun eine nachträgliche Chance.
Ich denke ich muss niemandem erklären, was die Herren aus Ulan Bator genau machen, oder? Oder doch? Na gut, für alle die in den letzten Jahren unter einem
Stein gelebt haben, hier eine kurze Beschreibung, was das Quartett genau stilistisch macht. Die folkloristische Musik des zentralasiatischen Reitervolks mischt man mit klassischen Elementen des westlichen Hardrocks. Besonders markant ist dabei der auffällige Klang der mongolischen Gitarre und der Pferdekopfgeige sowie der eingangs erwähnte Kehlkopfgesang von Sänger Enkush. Einerseits klingen die neun ursprünglich veröffentlichten Titel dadurch sehr fernöstlich, bekommen durch den stampfenden Bass gleichzeitig eine sehr martialische Brachialgewalt, die den Hörer zwangsläufig zum mitwippen animiert. Auf der anderen Seite werden Fans von urwüchsigen Bands wie HEILUNG gewisse Elemente wiedererkennen. Die Atmosphäre wirkt ähnlich wie bei europäischen Kollegen schamanisch und lässt Bilder von archaischen Stammgesellschaften vor dem inneren Augen entstehen. Allerdings machen sich THE HU durch das dezente Nutzen von klassischen Rock'n'Roll-Mustern zugänglicher für ein breiteres Mainstream-Publikum (kein Wunder, dass so auch Lob von General-Interest-Magazinen wie GQ oder Vice auf die Band niedergeht). Das allein ist allerdings nicht Grund genug, um die große Aufmerksamkeit zu erklären, die der Truppe zu Teil geworden ist. Immerhin hat sogar Elton John gemeint, dass diese Ostasiaten "seine liebste neue Sache" sind und man sie sich anschauen solle. Persönlich glaube ich, dass die Mongolen ein willkommener Farbtupfer in einem völlig unspektakulären Musik-Mainstream sind und sie es verstehen bei aller Exotik den westlichen Durchschnittshörer nicht zu überfordern (wie es wiederum zum Beispiel oft der Fall bei japanischen Pop- und Rock-Acts ist, die eine absolute Reizüberflutung liefern, wenn man normalerweise nur CRO und SPORTFREUNDE STILLER hört). Die Songs über Steppe, Reitervolk und Genghis-Khan-Romantik befriedigt das Bedürfnis vieler Menschen in komplexen Industrienationen nach einer Flucht in eine vermeintliche einfache Welt von Jägern und Sammlern. 

Jetzt aber genug mit dem Feuilleton-Geschwätz. Was bietet denn nun die Deluxe-Version, was es auf dem normalen Album nicht gibt? Es gibt zum Beispiel eine neue Version von 'Wolf Totem' mit Jacoby Shaddix von PAPA ROACH. Ich finde zwar nicht, dass dieser Song einen Gastsänger benötigt hätte, aber Nu-Metal-Nostalgiker wird es freuen. 'Yuve Yuve Yu' im Gewand zusammen mit FROM ASHES TO NEW wirkt da schon sinniger, weil dieser Song tatsächlich durch die metallischen Ergänzungen an Spannung und Wucht gewinnt. Ebenfalls kann man argumentieren, dass es nur logisch ist sich bei 'Song Of Women' eine Sängerin in Form von Lizzy Hale von HALESTORM dazu zu holen. Wer statt mehr Rock lieber mehr Lagerfeuer-Atmosphäre haben will, der bekommt mit den drei letzten Stücken entspannte Akustikversionen von drei bekannten Songs der Band.
Alles in allem ist "The Gereg Deluxe" kein Pflichtkauf für Besitzer der ursprünglichen Version des Albums - dafür wird hier einfach zu wenig neues geboten. Wer sich allerdings (wie ich) bisher vor der Band weggeduckt hat, der kriegt es durch die bekannten Gastmusiker, die auch englische Lyrics beisteuern, leichter gemacht in THE HU reinzukommen. Persönlich hätte ich es jedoch eleganter gefunden wenn man auch noch zwei bis drei ganz neue Lieder vorgelegt hätte. Gegen Ende nutzt sich nämlich das bestehende Song-Material etwas ab (allein 'Yuve Yuve Yu' gibt es auf dieser Scheibe in drei verschiedenen Versionen zu hören!). Kurzum, wer Lust auf was ganz anderes als seine alltägliche Rock- und Metal-Kost hat, kann hier mal ein Ohr riskieren. Ich selbst finde derweil Bands wie etwa DREAM SPIRIT deutlich spannender, wenn es darum geht, westlichen Hardrock mit fernöstlicher Musik zu verbinden.
Ab 10.07.2020 gibt "The Gereg Deluxe" bei Better Noise Music zu erwerben.

[Adrian]

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